12-06-2013

Interview mit Esteban Suárez von BNKR Bunker Arquitectura

BNKR Bunker Arquitectura,

Mexico,

Kirchen & Friedhöfe,

gleichzeitig,

Intervista, Messen,

von Mara Corradi



Interview mit Esteban Suárez von BNKR Bunker Arquitectura 1
Was bedeutet das Motto “Stop: Keep Moving”? Was versteckt sich hinter diesem Widerspruch und weshalb interessieren dich die Anomalien, die Abweichungen und die Inkompatibilitäten?


“Stop: Keep Moving” ist der Name unseres ersten Buchs und unserer Ausstellung. Es ist die Arbeit der ersten 5 Jahre unseres Büros, die unter dem Thema eines Oxymorons als Annäherungsversuchs an die Architektur präsentiert wird. “Stop: Keep Moving” ist ein solches Oxymoron, also die Verbindung zweier absolut gegensätzlicher Ausdrücke. Physisch gesehen ist es unmöglich, gleichzeitig still zu stehen und sich zu bewegen, während wir vom Konzept her begriffen haben, dass dies nicht nur möglich sondern absolut wahr ist.
Die Oxymorone stehen im Mittelpunkt dessen, was wir als paradoxen Gedanken kennen: Ideen oder Sätze, die oberflächlich betrachtet als unlogisch oder gegensätzlich erscheinen, die uns aber auf einer tiefergehenden Ebene die Wahrheit über den menschlichen Zustand zeigen. Carl Jung schrieb “Das wahre Leben des Menschen wird von einer Menge unausweichlicher Gegensätze bestimmt: Tag und Nacht, Geburt und Tod, Glück und Unglück, Gut und Böse. Wenn dies nicht so wäre, ginge das Leben zu Ende”. Oxymorone sind ein wiederkehrendes Thema in der Architektur. Die Anforderungen der Kunden, die Programme, die Gesetze, die Vorschriften, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren, die Themen zur Nachhaltigkeit stehen oft im Gegensatz zueinander. Aber eben in diesen Gegensätzen haben wir das versteckte Potential entdeckt, das es uns ermöglicht, unseren kreativen Prozess ständig neu zu erfinden.


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Welche Bedeutung hat die Mimesis mit der Natur in deiner Architektur?
Bei der Sunset Chapel in Acapulco ist jedes Element so konzipiert, das es auf die Landschaft anspielt, diese einbezieht und aufwertet. Weshalb wählst du den Weg der Synthese zwischen dem Gebauten und der Natur anstatt einer auf sich selbst bezogenen Architektur?


Die Bedeutung der Mimesis mit der Umwelt und das Verschmelzen mit dieser ist immer projektabhängig. Die Sunset Chapel befindet sich im Kontext der “Brisas Marques”. Zum Glück ist diese Anlage noch nicht ganz fertig entwickelt und nicht alle anliegenden Grundstücke wurden bebaut, weshalb unser Werk fast wie eine jungfräuliche Oase aussieht. Wir wollten die Umwelt möglichst wenig umgestalten, deshalb haben wir die Kapelle mitten zwischen die Bäume gebaut, um diese nicht fällen zu müssen. Wir haben den Grundriss des Erdgeschoss auf ein Drittel des Obergeschosses reduziert und dabei so wenig Erdreich wie möglich ausgehoben, um die Natur nicht zu beeinträchtigen. Wir haben den Beton in seinem natürlichen Zustand gelassen, denn seine Farbe ist die gleiche der umliegenden Granitblöcke, was eine Art natürliche Camouflage schafft.
Der Kunde wollte die Ausrichtung der Kapelle zur Abendröte hin und dass man vom Altar aus den besten Blick auf die Bucht von Acapulco haben sollte. Als wir zum Grundstück kamen, haben wir allerdings ein großes Problem vorgefunden: Ein riesiger Felsbrocken von 5 Metern Höhe verstellte die Aussicht. Das Sprengen dieses Felsbrockens kam nicht in Frage, deswegen haben wir beschlossen, diesen zu nutzen und zum integrierenden Bestandteil des Projekts zu machen. Wir haben also den Grundriss der Kapelle etwas angehoben: Damit haben der Felsbrocken und die Neigung desselben entscheidende Bedeutung bei der Kapellengestaltung erhalten, um den Dialog zwischen den beiden zu begünstigen. Die so erzielte mimetische Wirkung lässt die Kapelle wie einen weiteren Felsen auf der Spitze der steinigen Hügel von Acapulco wirken.

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Eure dritte Kapelle, die Ecumenical Chapel, befindet sich derzeit im Bau. Das Thema Religion ist in der heutigen Architektur nicht sehr häufig zu finden und nur wenige Architekten haben sich damit beschäftigt. Was bedeutet es für dich, dieses Thema zu behandeln und welche Bedeutung hat die Spiritualität heute in Mexiko?


In der Geschichte der Menschheit war die Entwicklung des Glaubens und der Religion immer eng mit der Architektur verbunden. Die wichtigsten Werke in der Evolution der Räume, Typen, Formen und Bautechniken wurden von den verschiedenen Religionen in der Welt angeregt. Von den ägyptischen Pyramide hin zu den gotischen Kathedralen – dies alles wäre ohne den institutionellen Impuls des Glaubens nicht möglich gewesen.
Diese Situation hat sich heute komplett geändert. Der Architekturtypus der sakralen Orte ist heute eine “vom Aussterben bedrohte Art” geworden. Es ist sehr selten, dass man Architekten findet, denen ein religiöses Werk in Auftrag gegeben wurde. Aus diesem Grund müssen wir die seltene Gelegenheit ergreifen, die sich uns bietet, um diese abhanden gekommene Beziehung wieder herzustellen. Bei unseren drei realisierten Kapellen haben wir versucht, eben dies zu tun: Die herkömmliche Bedeutung der Kapelle zu vergessen, um diese neu zu erfinden.


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Das Projekt der Plaza de las Fuentes in Ciudad Guzmán versucht, dem Kirchplatz und dem Platz vor der Kathedrale eine tiefere Bedeutung zu verleihen. Der Platz wird zu einem Ort der sozialen Bindungen außer zu einem religiösen Treffpunkt. Welche soziale Rolle spielt der Architekt deiner Meinung nach und welches Gewicht hat die zeitgenössische Architektur in Mexiko?


Mexiko ist eines der Länder mit dem reichsten Kulturerbe. Trotzdem versteckt man sich hinter dem Alibi, dass man nach der spanischen Eroberung Unrecht erlitten hat und die Vergangenheit der Eingeborenen schwer verletzt wurde, was sich auch heute auf eine leidende Gesellschaft mit Opferallüren auswirkt.
Dies hat zu einer ausgeprägten Unsicherheit geführt, die man unserer Architektur ansieht: Es wurden so viele Anstrengungen unternommen um zu verstehen, was mehr oder weniger der wahre zeitgenössische mexikanische Stil ist. Dieser inzestuöse Weg – bei dem jede neugeborene Kreation die verdünnte Version ihrer Vorgängerin ist – hat uns nur zur kreativen Sterilität gebracht. Anstatt zu versuchen, unser kulturelles Erbe auszudrücken, bevorzugen wir die schwere Aufgabe, konstant unsere Methoden neu zu erfinden, mit denen man eine Architektur realisieren kann, die mexikanisch ist allein dank der Tatsache, dass sie von Mexikanern gemacht wurde.
Der Architekt hat eine soziale Rolle, denn Architektur wird “benutzt”. Manchmal ist sie sozialer als andere, je nach Projekt. Aus diesem Grund und insbesondere, wenn es um die Gestaltung urbaner Räume geht, muss sich der Architekt in die lokale Gestaltungskultur versenken, damit er die Probleme, die es zu lösen gilt, auch wirklich versteht und damit er zu den Augen des Kunden wird. Wenn das nicht geschieht, dann riskiert man, dass nicht nutzbare oder auch völlig vergeudete öffentliche Räume gestaltet werden. Für die Architekten ist die Gestaltung eines öffentlichen Raums eine sehr große Verantwortung.


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Was für eine Architektur braucht Mexiko in diesem Moment? Welche Ratschläge würdest du mit Gewissen und im Hinblick auf die aktuelle Lage jungen Menschen geben, die diesen Beruf einschlagen wollen?


Die neue Generation der mexikanischen Architekten muss sich von den kulturellen Unsicherheiten befreien, die dazu führen, dass man Werke gestaltet, die der Welt beweisen wollen, dass sie mexikanisch sind. Mexikanisch sind sie schon. Je weniger man das unter Beweis stellen will, umso interessanter wird der Vorschlag. Die Architektur muss eine spezifische Lösung für ein einziges und besonderes Problem sein. Sie muss aus der Kombination zwischen den ortseigenen Bedingungen (wirtschaftlicher, sozialer, politischer, kultureller und umweltbedingter Art) und den Erfahrungen und Ideen des Architekten entstehen.
Ich empfehle den jungen Menschen, Autodidakten zu sein und niemals mit der Suche aufzuhören, immer auf dem neuesten Stand bezogen auf Architekturgeschichte und die aktuelle Produktion zu sein. Indem wir unseren kulturellen Horizont erweitern, kommen wir unserer Authentizität immer näher. Wir können authentisch sein, aber nicht originell, denn das gibt es nicht. Die einzig wirklich originelle Sache war die Schaffung des Universums. Und man sollte nie vergessen, was Jean-Luc Godard sagte: “Es ist nicht wichtig, von wo du die Sachen nimmst, sondern wohin du sie bringst”.


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