27-04-2016

Ein Besuch im São Paulo der Zukunft laut Architekturbüro Triptyque

Studio Triptyque ,

Sao Paulo, Brasilien,

Sanierungs, Intervista,

Wie verändert sich São Paulo in Brasilien? Das Architekturbüro Triptyque erzählt von Minhocão Marquise, einer Stadtsanierungsidee, die an die High Line von New York erinnert und vom Kampf gegen die “gated communities” für die soziale Integration.



Ein Besuch im São Paulo der Zukunft laut Architekturbüro Triptyque

Auf der Entdeckung einer uns unbekannten Stadt São Paulo beginnen wir das Interview an einem ganz bestimmten Punkt. Gibt es außer dem Erbe von Niemeyer ein neueres Bauwerk, einen Ort oder einen Platz in der Stadt, den die jungen Menschen in São Paulo besonders mögen, eine Art städtisches Wahrzeichen der Gegenwart? Erzählen Sie uns, wie das erlebt wird.
Im Zentrum von São Paulo gibt es eine erhöhte Schnellstraße, die im Sprachgebrauch als "Minhocão", d.h. als großer Wurm bezeichnet wird und im Mittelpunkt der städtischen Debatte steht. Diese Straße wurde 1971 als Zeichen einer Modernität errichtet, bei der das Auto an erste Stelle stand und heute aber wie eine Wunde in der Stadtmitte von São Paulo wirkt. Der Regulierungsplan sieht einen Zeitraum von 16 Jahren vor, um diese fast 3 km lange erhöhte Schnellstraße umzugestalten. Seit Jahren wird über die Zukunft des Viadukts diskutiert und viele würden diesen gerne in einen erhöhten Park umwandeln, nach dem Modell der High Line in New York. Schon heute – am Wochenende ist die Straße für den Verkehr gesperrt und füllt sich mit Fußgängern, Joggern, Passanten, Familien, Verkäufern – ist es einer der kreativsten und alternativsten Plätze der Stadt. Und ein Wahrzeichen von zwei Generationen: der “alten”, die für die Automobilindustrie ist, und der neuen, die die Stadt auf eine andere Weise leben möchte. 
Wir lieben diesen Ort wegen seines Potenzials und er wird ganz sicher eine wesentliche Rolle für das neue São Paulo spielen. Wir machen bei diesem urbanen Projekt mit und beschäftigen uns mit dem unteren Teil, der bei dieser Überlegung komplett ignoriert wurde, obwohl es sich sicher um den am meisten betroffenen Teil handelt. Eine Art urbaner Tunnel, eine Quelle der Dunkelheit, ein vergessener Teil der Stadt São Paulo. In Zusammenarbeit mit dem Landschaftsplaner Guil Blanche haben wir versucht, den Beobachtungspunkt bezüglich dieser Infrastruktur zu verändern indem wir uns von der erhöhten Straße auf die Marquise begeben haben (ein großer und als Verbindung dienender überdachter Platz im von Oscar Niemeyer 1954 in São Paulo gestalteten Park Ibirapuera, A.d.R.). Letztes Jahr haben wir diese Idee mit der Stadt São Paulo geteilt und den Bürgermeister und die Leute eigeladen, die Marquise als einen produktiven Raum und nicht als “Nebenraum” zu betrachten.
Es handelt sich um ein partizipatives Projekt. Der erste Schritt dieser Überlegung war es, die lokale Bevölkerung einzuladen, eigene Ideen bezüglich der Zukunft des Minhocão Marquise zu entwickeln und zu teilen. Die Struktur wird sich ändern, aber im Einklang mit der Identität des Stadtviertels und den Wünschen der lokalen Gemeinschaft.

Triptyque möchte also diesen Raum neu beleben und diesen dank einer einfachen Öffnung erhellen, damit Tageslicht einfallen kann. Das Licht aktiviert den Raum, der somit zu einem neuen Habitat für Leben wird, zunächst in Form der Natur. Der Minhocão Marquise ist wohl der am meisten verschmutzte Ort von São Paulo. Einer Untersuchung zufolge würden die an der Decke über die gesamte Länge des Minhocão hängenden Pflanzen 20% des von den Fahrzeugen produzierten CO2 eliminieren. Die Pflanzen werden mit einem System bewässert, bei dem das natürliche Wasser gesammelt wird und die Verdampfung des Wassers wird zur Reinigung der Luft beitragen und die Oberflächen der Marquise reinigen.
Außerdem wird die Marquise ein buntes Programm beherbergen. Sie wird nämlich in der Länge in Blöcke unterteilt, die von dem Abstand zwischen den Pfeilern (33 m) bestimmt werden. Diese Abschnitte werden dann wie die “Pfählen” der großen Strände von Rio de Janeiro nummeriert. Jeder Block bzw. Abschnitt wird von 4 Modulen belegt werden: Kultur, Essen, Dienstleistungen und Geschäfte. 

Als ich São Paulo vor einigen Jahren besucht habe, fand ich eine Stadt mit starken Gegensätzen, auch architektonischer Art, wo die banalisierte Modernität Prachtbauten aus dem 19. Jahrhundert erdrückten, die sich auf wunderbare Weise erhalten haben. Ist das nur ein oberflächliches Bild? Wie präsentiert sich São Paulo wirklich denjenigen, die hier leben?
Brasilien ist das Heimatland einiger der Großen der Architektur, darunter auch eines der letzten großen Architekten der Moderne, Oscar Niemeyer. Auch eine andere Bewegung, die sogenannte "Escuola Paulista", die vom 2006 mit dem Pritzker Prize ausgezeichneten Architekten Paulo Mendes da Rocha gegründet wurde, die sich an einem ausgeprägten strukturellen Brutalismus inspiriert, ist seit den 1960er Jahren gut konsolidiert. Dieses außerordentliche Kulturerbe hat einen echten brasilianischen “Stil” geschaffen, einen sehr modernistischen Ansatz, ja sogar "brutalistisch", der auch heute noch sehr “en vogue” ist, inmitten einer überall üppigen Tropenlandschaft.


Beenden wir unser Interview mit einer Frage nach Architekturen in der Stadt São Paulo, die Sie gerne eliminieren würden, natürlich mit Begründung.
Das größte Problem der brasilianischen Gesellschaft ist der enorme Unterschied zwischen den verschiedenen sozialen Klassen. Diese Distanz drückt sich in der Architektur in den sogenannten „gated communities” aus. Dabei handelt es sich um regelrechte abgeschirmte Viertel. Eine effektive Trennung nicht nur zwischen den sozialen Klassen, sondern auch zwischen dem öffentlichen und dem privaten Raum. Bei unseren Projekten versuchen wir immer, den privaten Raum dem öffentlichen Raum gegenüber zu öffnen und Trennmauern auch in den Stadtvierteln der wohlhabenden Bürger zu vermeiden und eine gemeinsame Nutzung unserer urbanen Projekte zu fördern.

Mara Corradi


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