28-11-2022

Nur wer spielt, ist kreativ

Kopenhagen, Dänemark,

Design, Francis Alÿs, Antonella Galli,

Wie spielen Kinder außerhalb ihres Zuhauses? Und wo? Diese Frage stellte sich Francis Alÿs, der fast beiläufig begann, Kinderspiele an den unterschiedlichsten Orten der Welt zu filmen, von Afghanistan bis zur Republik Kongo, von Hongkong bis Mexiko. Das Ergebnis ist eine Reihe kraftvoller und eindrucksvoller Videos, ‘Children’s Games 1999-2022’, die bei Copenhagen Contemporary zu sehen sind. Eine Reflexion über das Spiel im öffentlichen Raum, seine kreative Kraft und sein langsames Verschwinden.



Nur wer spielt, ist kreativ

Es ist eine Tatsache, dass in den westlichen Metropolen und Großstädten die Kinder nicht mehr auf den Straßen und Plätzen spielen. Zumindest nicht allein und nicht umsonst. Und vor allem verbringen sie immer weniger Zeit mit Spielen außerhalb des Hauses. Es handelt sich um ein weit verbreitetes Phänomen, einen unbemerkten Verlust, dessen Ursachen vielfältig sind und zusammenlaufen: die invasive Präsenz von Autos, die Angst der Familien, das Fehlen geeigneter Räume, der Mangel an Zeit im Leben der Kinder, die zunehmend in alle Arten von "geleiteten" Aktivitäten eingebunden sind. Wie ein Schatten liegt über allem die invasive Präsenz des Digitalen, das die Zeit verschlingt und den physischen Kontakt selbst im Leben der Jüngsten aufhebt. Ausgehend von diesem Phänomen, das sich direkt vor unseren Augen abspielt, für das sich aber niemand - Politiker, Verwalter, Stadtplaner, Pädagogen - ernsthaft zu interessieren scheint, begann der Belgier Francis Alÿs, ausgebildeter Architekt und international anerkannter Künstler, der sich für soziale Belange einsetzt, 1999 einen langen Prozess der Dokumentation der Spiele, die Kinder außerhalb des Hauses spielen. Das Ergebnis ist eine Reihe von Videos, ‘Children’s Games 1999-2022’, die zum ersten Mal in einer großen Ausstellung im CC-Copenaghen Contemporary Art and Culture Centre in der dänischen Hauptstadt bis zum 10. April 2023 gezeigt werden.

Alÿs begann, Spiele zu filmen, um einen Dialog mit den Gemeinschaften zu eröffnen, in denen er unterwegs war. Dies veranlasste ihn, über den absoluten Wert einer Tradition nachzudenken, die spontan entstanden ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird, und zwar auf globaler Ebene (viele Spieldynamiken sind in vielen Ländern der Welt gleich) und die zu verschwinden droht. Und damit auch eine der Besonderheiten des Menschen: Kreativität. Das Spielen im gemeinsamen Raum, zusammen mit anderen Kindern, das Kennenlernen des Territoriums, der Menschen, der Dynamik, das Ausprobieren von Fähigkeiten, Erfindungen, Spaß, Neugier, garantiert die Entwicklung sozialer und kreativer Fähigkeiten, die für die Entwicklung unerlässlich sind. Das dokumentieren Alÿs' Filme, die er in verschiedenen Ländern der Welt gedreht hat, viele davon in Zeiten der Pandemie: ‘Reel-Unreel’ auf den Straßen von Kabul, wo Kinder mit Metallreifen spielen, die mit einem Stock angetrieben werden, oder mit alten Rollen, die durch die Straßen der Stadt auf- und abgerollt werden. Oder ‘Step on a Crack’ in Hongkong, wo ein kleines Mädchen auf ihrem Weg von zu Hause zur Schule und zurück auf dem Boden Springseile spielt. Oder ‘Rubi’, ein Miniatur-Fußballspiel, das zwischen zwei Herausforderern in Tabacongo, Demokratische Republik Kongo, mit einer Murmel und, als Kicker, auf den Boden eingeschlagenen Holzstöcken gespielt wird.

Die Videos bedürfen keiner Erklärung. Sie sind so geschnitten, dass der Zuschauer die Spielregeln ohne weitere Hinweise versteht. Indem er die Kinder filmt, gelingt es Alÿs, die Szenerie um sie herum zu erzählen, die zwar im Hintergrund zu sein scheint, aber dank der narrativen Strategie des Spiels kraftvoll hervortritt. “Es war wunderschön zu filmen” sagte der Künstler, “Ich liebte das Element der Überraschung. Ich habe versucht, die Spielregeln zu verstehen und mich gefragt: Was machen die da? Wie soll ich darauf reagieren? Ich wollte eine filmische Version anbieten, die das Spiel für jedermann verständlich macht, auch in Bezug auf den Schauplatz. Er fügte hinzu: Die Handlung selbst war ein Vorwand, damit die Zuschauer die Stadt von hinten und damit das Leben der Stadt betrachten konnten, in diesem Fall einen bestimmten Moment in der Geschichte (die Pandemie, Anm. d. Red.), aber es war auch eine Möglichkeit, eine Reise durch einen Ort zu schaffen und ihn darzustellen, ohne ihn zum Protagonisten zu machen. Ein Kunstgriff, der auch dank des versunkenen und unschuldigen Blicks der Kinder, die in den Geschichten ständig präsent sind, poetische und anklagende Züge annimmt.

Die Arbeit und die Ausstellung von Francis Alÿs im CC-Copenhagen Contemporary, einem Zentrum für zeitgenössische Kultur, das in einer ehemaligen industriellen Schweißerei untergebracht ist und sich durch eine intensive Aktivität von Ausstellungen, Debatten, Konzerten und Workshops auch für Kinder auszeichnet, soll auf den Verlust von Räumen und Möglichkeiten zum freien Spiel aufmerksam machen. Kein Detail: “Der Mensch kann ohne Spiel nicht leben” unterstreicht Marie Laurberg, Direktorin des CC, “die Ausstellung ‘Children’s Games’ erinnert uns daran, dass das Spiel ein einzigartiges Potenzial hat, Lebensfreude und Kreativität zu fördern – Eigenschaften, die wir bei Kindern und Jugendlichen und in unserer Gesellschaft im Allgemeinen fördern und unterstützen sollten. ” Eine Mahnung auch an die Welt des Designs, sowohl als Anregung, urbane Bedingungen für freies Spiel zu schaffen, als auch als unverzichtbarer Schutz des kreativen Geistes, von dem sich das Design selbst nährt. Und die von ihren Ursprüngen her durch Spielen kultiviert wird.

Antonella Galli

Captions
Photos courtesy of CC-Copenhagen Contemporary and Francis Alÿs

01
Francis Alÿs, Children's Game #31, Slakken, Pajottenland, Belgium 2021
In collaboration with Julien Devaux and Félix Blume

02
Francis Alÿs, Children’s Game #29: La Roue (2021). Installation view at Copenhagen
Contemporary. Photo: David Stjernholm

03
Francis Alÿs, Children's Game #10, Papalote, Balkh, Afghanistan 2011
In collaboration with Elena Pardo and Felix Blume

04
Francis Alÿs, Children's Game #27, Rubi, Tabacongo, DR Congo 2021
In collaboration with Julien Devaux and Félix Blume

05
Francis Alÿs, Children's Game #23, Step on a Crack, Hong Kong 2020
In collaboration with Rafael Ortega, Julien Devaux, and Félix Blume

06
Francis Alÿs, Children's Game #6, Sandcastles, Knokke-Le-Zoute, Belgium 2009
In collaboration with Julien Devaux, Cristian Manzutto, and Félix Blume

07
Francis Alÿs, Children's Game #2, Ricochets, Tangier, Morocco 2007
In collaboration with Rafael Ortega and Julien Devaux
Photo by Francis Alÿs

08
Francis Alÿs, Children's Game #9, Saltamontes, Salto Acha, Venezuela 2011
In collaboration with Benjamin Mast, Julien Devaux, and Félix Blume

09
Francis Alÿs, Children's Game #14, Piedra, papel o tijera, Mexico City 2013
In collaboration with Julien Devaux and Félix Blume

10
Francis Alÿs, Children's Game #29, La roue, Lubumbashi, DR Congo 2021
In collaboration with Rafael Ortega, Julien Devaux, and Félix Blume

11
Francis Alÿs, Children's Game #28, Nzango, Tabacongo, DR Congo 2021
In collaboration with Rafael Ortega, Julien Devaux, and Félix Blume

12
Francis Alÿs, Children's Game #12, Musical Chairs Oaxaca, Mexico 2012
In collaboration with Elena Pardo and Félix Blume

13
Francis Alÿs, Children's Games (2022). Installation view at Copenhagen Contemporary. Photo: David Stjernholm


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